· Blog

80 Jahre Schicksalsklärung Zweiter Weltkrieg

© Gero Breloer / DRK

Die Arbeit des DRK-Suchdienstes fokussiert sich auf drei Felder: 1.) Die internationale Suche, bei der es darum geht, aufgrund aktueller Krisen und bewaffneter Konflikte vermisste Angehörige zu finden. 2.) Die Familienzusammenführung von Spätaussiedlern und international Schutzberechtigten. 3.) Die Schicksalsklärung Zweiter Weltkrieg. Diese Teilaufgabe besteht seit nunmehr 80 Jahren. Warum diese Aufgabe bis heute wichtig ist, was sich im Lauf der Zeit geändert hat und welche Fälle besonders in Erinnerung geblieben sind, dazu haben wir mit Frauke Weber, Leiterin der Suchdienst-Leitstelle im Generalsekretariat, gesprochen.

Warum ist das Rote Kreuz mit der Aufgabe des Suchdienstes befasst?

Frauke Weber: Es wurde bereits im Rahmen der Genfer Konventionen festgehalten, dass die Arbeit des Suchdienstes eine Kernaufgabe des Roten Kreuzes ist. Schon Henry Dunant, der Gründer des Roten Kreuzes, erkannte während der Schlacht von Solferino, dass verwundete oder sterbende Soldaten ihre Angehörigen benachrichtigen wollten. Er ließ sich deshalb Briefe diktieren, die er an die Familien schickte, die häufig schon sehnsüchtig auf eine Nachricht über das Schicksal ihrer Verwandten warteten. Und diese wichtige Tätigkeit erfüllen wir bis heute, sie ist im DRK-Gesetz und in allen Satzungen der Landes- und Kreisverbände verankert.

Nun blicken wir in diesem Interview vor allem auf die Teilaufgabe des Suchdienstes Schicksalsklärung Zweiter Weltkrieg. Wie kann man sich die Lage am Ende des Kriegs vorstellen?

Durch den Zweiten Weltkrieg gab es Millionen vermisste Soldaten, Erwachsene aus der Zivilbevölkerung und Kinder. Das Ausmaß der Kriegsfolgen war so erschütternd groß, dass DRK-Landes- und Kreisverbände bereits kurz nach dem Krieg anfingen, heimkehrende Soldaten und geflüchtete Menschen zu registrieren. Zwei Offiziere in Flensburg organisierten diese Arbeit neu und gründeten in der britischen Besatzungszone den DRK-Suchdienst Standort Hamburg. Bald folgte ein Suchdienst in der amerikanischen Zone, der heutige DRK-Suchdienst Standort München. Bis 1950 wurden rund 14 Millionen Suchanfragen gestellt. Später ging der Suchdienst dazu über, Vermisstenbildlisten zu erstellen, Heimkehrer zu befragen und anhand von Aufrufen im Radio und mit Suchplakaten Menschen wieder zusammenzuführen.

Wenn Sie auf die Arbeit des Suchdienstes bei dieser Teilaufgabe schauen, was hat sich seit 1945 bei der Suche nach Vermissten verändert? 

Da gab es einige Veränderungen. Besonders hervorzuheben ist, dass der DRK-Suchdienst am Standort München im Laufe der letzten 80 Jahre enorme Bestände angelegt hat. Dazu gehören eine zentrale Namenskartei, in der alle Suchanfragen der letzten Jahrzehnte erfasst sind, sowie Dokumente zum Beispiel aus der ehemaligen Sowjetunion. Allein zwei Millionen Datensätze sind von dort in den 90er-Jahren hinzugekommen, was natürlich die Erfolgsaussichten einer Suche deutlich verbessert hat. Insgesamt haben wir etwa 50 Millionen Karteikarten mit Bezug zu Schicksalen Zweiter Weltkrieg, die Auskunft über bis zu 20 Millionen Familien in Deutschland geben. Diese ganzen Daten haben wir über die Jahre digitalisiert, um noch effizienter zu arbeiten, auch wenn es das Archiv in Papierform natürlich immer noch gibt. Außerdem arbeiten wir heute eng vernetzt mit den anderen Nationalen Rotkreuz-Gesellschaften, wie dem Polnischen oder Norwegischen Roten Kreuz, zusammen, um gemeinsam Antworten für die Familien der Verschollenen zu finden.

Wie erfolgreich ist Ihre Arbeit?

Wir haben eine sehr gute Erfolgsquote und können 43 Prozent der Suchanfragen im Kontext der Schicksalsklärung Zweiter Weltkrieg aufklären. Wenn Menschen bei uns anfragen, bekommen sie eine Kopie der Akte aus der Kriegsgefangenschaft mit allen Informationen, zum Beispiel über die Dauer der Kriegsgefangenschaft, ob das gesuchte Familienmitglied krank wurde, wo die Person ggf. gestorben ist, etc. An dieser Stelle wird die Bedeutung unserer föderalen Aktivitäten als DRK deutlich: Diese Arbeit wäre ohne die DRK-Landes- und Kreisverbände nicht möglich. Die Gliederungen waren bereits nach dem Zweiten Weltkrieg bei der Registrierung von Zurückkommenden, Flüchtlingen und Vertriebenen beteiligt. Aktuell haben wir dank der Suchdienst-Beratungsstellen von Landes- und Kreisverbänden 90 Standorte im ganzen Bundesgebiet. Sie sind wichtige Anlaufstellen für alle, die Anliegen bezüglich der Schicksalsklärung haben. 

Was bedeutet es für Angehörige, wenn Informationen über Vermisste gefunden werden?

Ein uneindeutiger Verlust, also wenn man jemanden vermisst, der spurlos verschwunden ist, ist etwas sehr Schwieriges. Es gibt wegen der Ungewissheit keine Möglichkeit, durch einen Trauerprozess zu gehen und das Ganze zumindest zum Teil zu verarbeiten. Viele Menschen bleiben in einer Art ruhelosem Zustand. Wir hatten erst wieder einen solchen Fall: Ein junges Mädchen wurde im Zweiten Weltkrieg von ihrer Familie getrennt und konnte ihre Eltern nicht mehr finden. Ihr Leben lang suchte sie nach ihrer Identität. Erst vor kurzem stellte sie beim DRK-Suchdienst eine Anfrage, und wir konnten ihr mitteilen, wie ihre Eltern hießen und wie sie eigentlich selbst hieß. Für sie bedeutete das die Welt. Sie konnte deshalb leibliche Angehörige kennenlernen, wenn auch nicht ihre Eltern. Dieser Fall unterstreicht die zentrale Rolle und den Wert der eignen Familie für das Leben der meisten Menschen.

Der Zweite Weltkrieg endete vor 80 Jahren. Welche Bedeutung hat der Suchdienst für die Aufarbeitung der Kriegsfolgen? 

Auch dies möchte ich an einem konkreten Beispiel einer Frau festmachen, die eine Suchanfrage bei uns gestellt hat. Als der Vater dieser Frau während des Zweiten Weltkriegs spurlos verschwand (später stellte sich heraus, dass er in Kriegsgefangenschaft geraten war), war sie erst zwei Jahre alt. Die Großmutter, deren einer Sohn im Krieg starb, während der zweite verschwunden war, zerbrach daran. Die Mutter musste damals arbeiten, damit die Familie irgendwie über die Runden kommt. Deshalb wuchs die zweijährige Tochter bei ihrer gebrochenen Großmutter auf und sah ihre Mutter nur zweimal im Jahr. Auch das sind die Folgen eines bewaffneten Konflikts, die über Jahrzehnte anhalten und die Millionen von Familien betrafen. Diese Folgen von bewaffneten Konflikten dürfen nicht vergessen werden. Wir sorgen also nicht nur für Schicksalsklärung bezüglich Aufarbeitung, sondern auch dafür, dass wir durch die Benennung der vielfältigen Folgen in Erinnerung rufen, wie schlimm bewaffnete Konflikte sind.

Sehen Sie diese Teilaufgabe des Suchdienstes als erfüllt an?

Das Ausmaß der Vermisstenfälle nach dem Zweiten Weltkrieg war enorm, deshalb hat sich der Suchdienst in Deutschland als langfristige Aufgabe etabliert. Wir konnten mehrere Millionen Fälle klären und für Gewissheit sorgen. Aber unsere Aufgabe ist noch lange nicht abschließend erfüllt. Wir spüren weiterhin ein großes Interesse, jedes Jahr erreichen uns zwischen 7.000 und 10.000 Anfragen allein zur Schicksalsklärung Zweiter Weltkrieg. Und selbst das könnte noch viel mehr sein, denn ich habe die 2 Millionen Datensätze genannt, die wir in den 90er-Jahren aus der ehemaligen Sowjetunion erhalten haben. Es lohnt sich also, eine Anfrage bei uns zu stellen (zum Beispiel unter drk-suchdienst.de, dieses Angebot ist für Familienangehörige kostenfrei), selbst dann, wenn das in der Vergangenheit schon einmal erfolgt ist. Wir können in den kommenden Jahren noch für viel Aufklärung sorgen und machen uns deshalb dafür stark, dass die Schicksalsklärung auch in Zukunft durch Finanzmittel des Bundesministeriums des Innern und für Heimat gefördert wird.