Hermine Brenauer ist Teamleitung der Kindestageseinrichtungen in der Landesgeschäftsstelle des BRK. Warum Angst auch in der Corona-Krise kein guter Ratgeber ist und was noch besser laufen könnte, haben wir sie im Interview gefragt.
Wie wird Kindeswohl definiert?
Genauso wie die Rechte der Kinder ist das in der UN-Konvention festgelegt: der körperliche, seelische und sexualisierte Schutz des Kindes ist zu achten.
Wie wurde vor Corona darauf geachtet und was ist jetzt anders?
Es handelt sich hier nicht um einen Meldeparagrafen, aber konkrete Gefährdungslagen müssen abgewendet werden. Dazu sind Mitteilungen an den ASD (allgemeiner sozialer Dienst) nötig. Manchmal ist das ein zweischneidiges Schwert, man kann schnell unverschuldet in so eine Situation geraten. Nur weil ein Kind blaue Flecke hat, macht das noch keine Gewalttat. Erzieher:innen sollten immer das große Ganze sehen, außerdem wird schrittweise vorgegangen. Erst der letzte Schritt ist die Meldung, davor kommt viel Dokumentation und Gespräche. Das Problem ist: man sieht die Kinder jetzt fast nicht! Und Kindeswohlgefährdung ist in allen Schichten vertreten und generell ein sensibles Thema. Meistens passieren Dinge nicht absichtlich, sondern aus Stresssituationen heraus.
Was haben die Kita-Schließungen mit Kindern, Erziehern, Eltern gemacht?
Das Stresslevel war noch höher als sonst: die älteren Kinder im Homeschooling, die jüngeren wollen beschäftigt werden und dann noch Home Office. Die Notbetreuung war besser als nichts, aber nicht optimal. Der Kontakt fehlt allen Beteiligten. Wir dürfen nicht vergessen: diese Kinder sind die nächste Gesellschaft, sie wachsen mit Corona auf. Wir stehen in der Verantwortung ihnen mitzugeben, wie man mit Krisen umgeht.
Wie passen sich die BRK-Kitas an?
Je nach Landkreis wird unterschieden und Anpassungen sind an die Inzidenzen gekoppelt. Auch vor Corona wurden und werden die pädagogischen Konzepte grundsätzlich 1x pro Jahr in stetiger Entwicklung angepasst und überarbeitet, meist zu Beginn des Kindergartenjahres, in den sog. „Konzepttagen“. In den Konzepten werden detailliert die pädagogische Arbeit und Schwerpunkte der Einrichtung dargestellt. Einen besonderen Stellenwert stellt die Sicherung des Kindeswohles dar. Das DRK hat hierzu Grundsätze zum Kinderschutz erarbeitet, die die Grundlage der BRK Kinderschutzkonzepte bilden, d. h. hier werden die Schritte der Vorgehensweise definiert und erläutert.
Was sagst du zu den ersten Lockerungen nach dem Lockdown?
Die schrittweise Öffnung nach Inzidenz finde ich grundsätzlich gut, dies setzt jedoch voraus, dass genügend Fachkräfte in den Einrichtungen sind und nicht erkrankt oder in Quarantäne.
Was könnte man besser machen und wie sehen kreative, kluge und realitätsnahe Lösungen aus und vor allem Langzeit-Strategien?
Mein Vorschlag ist, dem pädagogischen Personal schneller ein Impfangebot zu machen. Sie sind aktuell in Stufe 3, sollten aber in Stufe 2 vorrücken, zum Wohle der Kinder. Die Mitarbeitenden haben Angst sich bei den Kindern anzustecken, die keine Maske tragen müssen. Angst war aber schon immer ein schlechter Berater und außerdem sind die Erzieher:innen wichtige Bezugspersonen. Bis zum Impfen sollten flächendeckende Antigen-Schnelltests vorangetrieben und die Kosten vom Freistaat übernommen werden. Ideal fände ich die Selbsttests, die jeder Mitarbeiter in der Einrichtung selbst durchführen kann. Damit würden die außer Haus Testung entfallen und der Testaufwand minimiert. Zudem würde ein wirksamer Gesundheitsschutz der Mitarbeiter langfristig die Voraussetzung schaffen, dass die Mitarbeiter in den Einrichtungen einsatzfähig bleiben und somit zu höheren Betreuungsquoten und zu einer schnelleren Rückkehr zum Regelbetrieb ermöglichen. Außerdem könnte ein wirksamer Gesundheitsschutz durch Impfungen und Schnelltests den Mitarbeitenden die Angst nehmen das Virus von der Einrichtung nachhause bzw. in die Kita zu tragen. *Bringt die Pandemie auch Vorteile?
Die Leistungen der Erzieher:innen für die Gesellschaft rückt immer mehr in das Rampenlicht und in das Bewusstsein der Bevölkerung. Es findet derzeit ein Perspektivwechsel statt, der sich nun auch in der besseren Finanzierung und der Verbesserung der Rahmenbedingungen der Kindertages-einrichtungen niederschlagen muss.
* Die Mitglieder der Gesundheitsministerkonferenz (GMK) wollen den Schwerpunkt für die Corona-Impfungen neu setzen und Erziehern sowie Beschäftigten an Grund- und Förderschulschulen eine rasche Immunisierung gegen das Virus ermöglichen. Erzieher sowie die Beschäftigten an Grund- und Förderschulschulen sollen in die Priorisierungsgruppe 2 anstatt 3 aufgenommen werden und ein Impfangebot erhalten, soweit der nötige Impfstoff in den Ländern vorhanden ist.