Rund eine Million Flüchtlinge sind im vergangenen Jahr nach Deutschland gekommen. Darunter rund 190.000 Frauen und 300 000 Kinder. Die Ursachen für ihre Flucht sind schwere Krisen und Konflikte wie zum Beispiel in Syrien, im Irak oder der Zerfall ganzer Staaten und extreme Armut wie etwa in Afghanistan oder in einigen Ländern Afrikas.
Auf ihrer Flucht sind Frauen und Mädchen, die alleine oder lediglich mit Kindern unterwegs gewesen sind, einer Studie von Amnesty International zufolge, körperlicher und sexueller Gewalt ausgesetzt. In Deutschland fehlen bis heute zusammenfassende Informationen über das Ausmaß von Gewalt und Übergriffen in Flüchtlingsunterkünften. Allerdings geht der Unabhängige Beauftragte der Bundesregierung für Fragen des sexuellen Kindermissbrauchs hierbei von einer hohen Dunkelziffer aus.* Ungeachtet dessen gibt es bisher nur vereinzelt Schutzprogramme, dabei sind geflüchtete Frauen und Kinder auf einen besonderen Schutz angewiesen.
"Wir müssen Frauen und Kinder in Flüchtlingsunterkünften vor Übergriffen schützen. Dafür brauchen wir bundesweit in allen Einrichtungen Schutzkonzepte gegen Gewalt, Kindesmissbrauch und Vergewaltigung. Ferner mehr Raum für Rückzug und Möglichkeiten zur Integration", fordert Brigitte Meyer, Vizepräsidentin des BRK.
Ein erster Schritt ist bereits getan. Mit einem vom Bundesfamilienministerium (BMFSFJ) in Höhe von einer Million Euro bundesweit gefördertem Pilotprojekt an 25 Standorten entstehen in Kooperation mit UNICEF, Wohlfahrtverbänden und NGOs Schutzprojekte für Frauen und Kinder in Flüchtlingsunterkünften. In Bayern beteiligt sich das Nürnberger Rote Kreuz an dem Schutzprogramm. Wolfgang Obermair, stellvertretender Landesgeschäftsführer: "Schutz und Förderung muss stark miteinander verbunden werden, ohne sie kann Integration nicht gelingen."
Schutzkonzept für Frauen und Kinder
Für Frauen und Kinder in der Nürnberger Notunterkunft in der Tillystrasse gibt es einen Rückzugsraum und ein Spielzimmer. Das ist der äußere Rahmen des Pilotprojekts des Bundesfamilienministeriums. Für konkrete Angebote sorgt Brigitta Freckmann. Sie ist Pädagogin und hat in den letzten Jahren viel Erfahrung im Umgang mit Flüchtlingen aus anderen Projekten und aus ihrer ehrenamtlichen Arbeit gewonnen.
"Wir möchten, dass Kinder und Frauen sich sicher fühlen. Dafür sind konkrete Schutzkonzepte nötig", sagt Brigitte Meyer im Frauenraum in der Nürnberger Notunterkunft. "Bereits vor der "Flüchtlingskrise" waren Flüchtlingskinder in Deutschland schlechter gestellt als ihre deutschen Altersgenossen, obwohl sie nach der Menschenrechtskommission die gleichen Rechte haben. Dabei ist der Schlüssel zur Integration Förderung und der Zugang zu Bildung."
Seit April läuft dort das Projekt des Bundesfamilienministeriums für geflüchtete Frauen und ihre Kinder. Anfang des Jahres hatte sich der Kreisverband des Bayerischen Roten Kreuzes dafür beworben. Meyer: "Der Anteil von Kindern und Jugendlichen, die bis März 2016 auf dem Seeweg in Europa eingetroffen sind, ist größer geworden und liegt mittlerweile bei 35 Prozent. Das spiegelt sich auch in der Belegung der Unterkünfte in Deutschland. Nicht kindgerechte Bedingungen in Erstaufnahmeeinrichtungen und Gemeinschaftsunterkünften sind für Kinder; Jugendliche und ihre Familien sehr belastend. Ein entsprechender Kinderschutz ist nicht immer ausreichend gewährleistet." Mädchen und Jungen und ihre Familien haben so gut wie keine Privatsphäre und leiden unter dringend benötigten Rückzugsmöglichkeiten. Eine ruhige Umgebung, um Hausaufgaben machen zu können ist schwer zu finden. Häufig sorgen Einrichtungsleitungen, Mitarbeiter und ehrenamtliche Helfer für eine gute Betreuung und Förderung. "Dennoch, es braucht einen Raum und professionell gesicherte Konzepte", sagt Meyer.
Viele der Mädchen und Jungen haben sehr belastende Erfahrungen von Krieg, Gewalt, den Verlust von Heimat und Angehörigen zu verkraften, dazu eine lebensgefährliche Flucht. So haben Mediziner der Technischen Universität München in einer Untersuchung in einer bayerischen Erstaufnahmeeinrichtung festgestellt, dass mehr als ein Drittel der syrischen Flüchtlingskinder unter einer psychischen Störung litt. Die Wissenschaftler gehen davon aus, dass weitere Kinder eine posttraumatische Störung entwickeln werden, auch aufgrund ihrer aktuellen Situation."Umso wichtiger ist eine gezielte Förderung und Begleitung", verlangt Brigitte Meyer."
Pilotprojekt in Nürnberg
Da sind zum Beispiel Aishe und ihre beiden kleinen Töchter, geflohen vor dem Bürgerkrieg in Syrien. Der Ehemann ist zurückgeblieben. Mehr Geld war einfach nicht da. Die Erlebnisse in Syrien, die Sorge um den Ehemann und Vater sind immer präsent. Sie sind nun im sicheren Deutschland, doch ihre Wohnsituation ist nicht ideal. Der Raum in der Notunterkunft, ein ehemaliges Büro ist eng, das 20 qm große Zimmer teilen sie sich mit drei anderen Müttern und deren Kindern, eine Rückzugsmöglichkeit gibt es nicht. Doch sie haben Glück, man will ihnen helfen und ihre Lage verbessern. In dem für das Projekt neu eingerichtetem Spielzimmer - ansprechend und liebevoll gestaltet - können die beiden Töchter mit ehrenamtlichen Helferinnen spielen und Deutsch lernen. Auch ihre Mutter kann derweil im Frauenraum am Sprachunterricht teilnehmen oder sich gemeinsam mit anderen Frauen bei einer Tasse Tee über ihre Situation austauschen. Die Teilnahme an dem Schutzprogramm von Brigitta Freckmann ist freiwillig. "Kinder und Frauen brauchen besondere Rückzugsmöglichkeiten, sie sollen sich sicher fühlen, wir müssen Vertrauen und Nähe zu ihnen aufbauen können. Nur so können wir Kinder und Frauen vor Übergriffen schützen."
Der Kreisverband des Bayerischen Roten Kreuzes engagiert sich seit drei Jahren sehr in der Flüchtlingshilfe. 38 Fachkräfte unter der Leitung von Kreisgeschäftsführerin Brigitte Lischka kümmern sich um zahlreiche Sonderprogramme. Eine wichtige Hilfe und Stütze sind die 350 ehrenamtlichen Helfer, die vom Kreisverband geschult und koordiniert werden. Für das Pilotprojekt des Bundesfamilienministeriums muss der Kreisverband beträchtliche Eigenmittel einsetzen. Brigitte Lischka: "Flüchtlingsunterkünfte sind keine optimalen Orte, Kinder und Frauen sollten sich dort nur so kurz wie möglich aufhalten. Aber auch für relativ kurze Zeiträume ist es notwendig und möglich ein schützendes und förderndes Umfeld zu schaffen. Dazu gehören neben wirksamen Schutzkonzepten zum Beispiel kinderfreundliche Räume, in denen Kindern und Jugendlichen und ihren Müttern strukturierte Lern- und Spielangebote zur Verfügung stehen, die ihnen Halt geben und helfen ihre traumatischen Erlebnisse zu verarbeiten." So gut es die Frauen und Kinder mittlerweile in der Tillystrasse getroffen haben, so fehlt es grundsätzlich an einer bundesweiten Umsetzung entsprechender Förderprogramme. Lischka: "Schade ist auch, dass ist der finanzielle Rahmen des Pilotprojekt zu eng gesetzt ist, weil zum Beispiel für Übersetzer bisher noch kein Etat vorgesehen wurde."
Bedingungen verbessern
Die große Aufgabe jetzt und in der Zukunft ist die Integration. Das kann nur gelingen, wenn Schutz und Förderung eng miteinander verbunden sind. Der stellvertretende Landesgeschäftsführer Wolfgang Obermair: "Für uns ist das Thema Schutz von Frauen und Kindern in Flüchtlingsunterkünften ein wichtiges Anliegen. Deshalb haben wir uns als Bayerisches Rotes Kreuz sofort an dem Pilotprojekt beteiligt, ein weiteres soll unmittelbar hier in Nürnberg neu an den Start gehen. Immer arbeiten wir dabei mit den Initiatoren sehr eng zusammen. Wir wissen auch wie schwierig es ist in der Praxis, Familien und ihre Kinder so unterzubringen, dass zum Beispiel angemessene Schlaf- und Rückzugsmöglichkeiten vorhanden sind. Wir können es nicht ändern, dass Familien zum Teil über längere Zeit in Notunterkünften leben müssen, daher setzen wir als Bayerisches Rotes Kreuz alles daran, die Voraussetzungen zu verbessern und den Schutz von Frauen und Kindern so gut wie möglich zu gestalten."
Das BRK in der Flüchtlingshilfe in der Stadt Nürnberg
Rund 2.300 Menschen betreut der BRK Kreisverband Nürnberg derzeit. Die Flüchtlinge kommen aus Syrien, dem Irak, Iran, Äthiopien und der Ukraine.
Aktuell betreut das BRK drei große Not-Gemeinschafts-unterkünfte (NGU) und die Notunterkunft Tillystraße als Dependance der ZAE Zirndorf, sowie 42 städtische und staatliche Gemeinschaftsunterkünfte.
Das BRK ist nicht der Betreiber von Flüchtlingsunterkünften, steht aber in einem engen, produktiven Kontakt zu den Betreibern, zumeist mit der Stadt Nürnberg.In allen vom BRK betreuten großen Unterkünften stellt der Kreisverband alle Mitarbeiter und versorgt die Flüchtlinge mit Kleidern und Essen. Neben der Beratung und der Betreuung der Flüchtlinge im Alltag liegt der Schwerpunkt der Arbeit des BRK bei der sozial- und ausländerrechtlichen Beratung und der Begleitung während des Asylverfahrens. Weitere Anliegen sind die Gesundheit und die Bildung. Alles geschieht in enger Zusammenarbeit mit den Behörden, dem Jugendamt, dem Sozialamt und der Ausländerbehörde. Unverzichtbar in der gesamten Flüchtlingsarbeit sind dabei 350 Freiwillige, die vom Kreisverband geschult und koordiniert werden. Ihre Aufgaben sind die Versorgung der Flüchtlinge in der Essens- und Kleiderausgabe, die Kinderbetreuung, die Sprachförderung und die Hilfe bei der Gestaltung von Freizeitmöglichkeiten.
Informationen zur Notunterkunft Tillystrasse
Seit Dezember 2014 betreut das BRK die Notunterkunft Tilly (NUK) als Außenstelle der Erstaufnahmeeinrichtung Zirndorf. Die vom BRK geleitete Unterkunft beherbergte zeitweise 700 Menschen, darunter 200 Kinder unter 15 Jahren, der geschätzte Anteil Frauen und Kinder lag in Stoßzeiten bei etwa 45 Prozent. Bei dem Gebäude der Unterkunft handelt es sich um ein ehemaliges Bürogebäude des Quelleunternehmens. Der Situation entsprechend sind die Flüchtlinge in vielen ehemaligen Großraumbüros untergebracht, die mit bis zu 30 Personen belegt werden können. Familien müssen sich Zimmer teilen. Die Bewohner werden verpflegt und haben nicht die Möglichkeit selbst zu kochen. Ein Arzt sowie eine Krankenschwester sind mit täglichen Sprechzeiten vor Ort. Als Ausweichmöglichkeit zu den Zimmern, steht der Raum der Essensausgabe zur Verfügung. Da Kinder und Jugendliche in einer NUK nicht zu Schule und in den Kindergarten gehen, ist man bemüht, eine tägliche Betreuungs- und Beschäftigungsmöglichkeit vorzuhalten.
Kinder haben eine Recht auf Schulunterricht
Im Rahmen der Anhörung zum Bayerischen Integrationsgesetz fordert das BRK eine reguläre Schulpflicht für alle Kinder, unabhängig von ihrer Unterbringung, was derzeit leider nicht so geregelt ist, und damit auch dem Artikel 28 der Kinderrechtskonvention widerspricht. Ehrenamtliche stellen bei Angeboten, wie Kinderbetreuung, Deutschunterricht oder Frauengruppen die Hauptakteure.