Hallo Christian! Wir stellen uns deinen Arbeitsalltag derzeit sehr stressig vor. Was ist aktuell konkret am schwierigsten für dich als Disponent?
Auf jeden Fall das erhöhte Aufkommen durch mehr Einsätze und die gestiegene Anzahl der COVID-Patienten. Hinzukommt die häufige Abmeldung von Intensivstationen und nicht besetzte Notarztdienste mangels Personals. Das alles bedeutet für uns viel mehr Anrufe, das Personal in der Leitstelle ist mehr und länger gebunden. Wir brauchen viel länger, um geeignete Betten für die Patienten zu finden und müssen lange mit verschiedenen Krankenhäusern sprechen.
Könntest du ein Beispiel nennen, bei dem ein Bett schwer zu ergattern war und der Patient es dringend nötig hatte?
Wir haben immer mehr solcher Beispiele, das kommt fast schon regelmäßig vor. Ich komme mir teilweise wie ein Hausierer vor, muss von Krankenhaus zu Krankenhaus telefonieren, ähnlich wie Maria und Josef bei der Herbergssuche. Es ist fast nichts mehr frei!
Ein Fall hat mich massiv betroffen. Wir hatten einen Corona-Patienten mit akuter Atemnot in einem KTW. Ich musste einen RTW und Notarzt anfordern, aber von beidem war keiner mehr verfügbar. Zusätzlich waren sowohl das nächste als auch das übernächste Krankenhaus abgemeldet, weil sie voll waren. Auch rund um unsere Region waren keine RTWs mehr frei. So eine Ausnahmesituation kommt nicht oft vor, aber sie kommt vor. Der KTW hätte nun 45 km weiterfahren müssen in das nächste freie Krankenhaus, aber ich bin mir nicht sicher, ob der Patient das überstanden hätte. Ich musste eine Notfallbelegung veranlassen, damit der Patient in 3 Minuten im nächstgelegenen Krankenhaus behandelt werden konnte. Ich will mir nicht ausmalen, wie es ausgegangen wäre, wenn ich das nicht gemacht hätte. Das ist ein krasses Beispiel, aber das ist die Realität.
Eine harte Realität derzeit…
Wir müssen von Straubing teilweise Passau oder Regensburg anfahren, weil rundum Betten weg sind. Die langen Fahrzeiten binden auch Kapazitäten und letzte Woche kam noch der Nebel hinzu – dann kann der Hubschrauber nicht fliegen und die Situation wird noch kritischer, weil noch ein Bindeglied wegfällt.
Lange kann das so nicht weitergehen, Schnee und Glätte stehen uns auch bevor. Wie lange denkst du, dauert es bis zum Kollaps des Systems?
Ich würde die jetzige Situation als präkollaptisch bezeichnen. Ich denke, wir sind kurz vorm Kollaps, die Belastung des Systems ist sehr stark spürbar. Wir haben das Virus nicht mehr im Griff! Wir müssen aber in der Leitstelle stringent einen Einsatz nach dem anderen abarbeiten.
Was passiert, wenn eben keine Intensivbetten mehr frei sind und auch keine Notfallbelegung mehr möglich ist?
Wir fahren dann einfach das nächste Krankenhaus an. Im schlimmsten Fall muss der Patient am Gang oder im Schockraum liegen. Bei einer Notfallbelegung gibt’s keinen Widerspruch! Das nächste Krankenhaus führt eine Minimalversorgung durch und dann geht’s mit dem Intensivtransportwagen oder dem Hubschrauber weiter in ein anderes Krankenhaus mit mehr Kapazität. Natürlich schimpfen dabei Ärzte und Aufnahmeschwestern mit uns, die ebenfalls an der Belastungsgrenze arbeiten. „Gibt’s denn nur noch unser Krankenhaus!“ können wir uns dann anhören – aber kritische Patienten müssen schnellstmöglich versorgt werden. Das ist für alle Beteiligten eine sehr schwierige Situation.
Was wären deiner Meinung nach jetzt die wichtigsten Maßnahmen, um die Situation zu entschärfen? Was ist aus deiner Sicht notwendig?
Ich bin dafür eine Impfpflicht einzuführen, auch aus Solidarität den Geimpften gegenüber. Das Gesundheitssystem kann die hohe Zahl an Infizierten sonst nicht mehr stämmen. Ziviles Personal oder die Bundeswehr, können aus nicht so stark betroffenen Bundesländern zu uns kommen und helfen, z. B. nach Rottal-Inn. Wir sind ins Ahrtal gefahren, um zu helfen, jetzt brauchen wir in Bayern Hilfe. Die Politik muss dafür die Rahmenbedingungen schaffen, das System attraktiver machen und am Laufen halten.
Was kann aus deiner Sicht jeder Einzelne dafür tun?
Sich impfen lassen aus Solidarität. Wir sind eine Solidargemeinschaft und das ist auch gut so. Dass es uns allen gut geht, das ist das wichtigste. Ich bin selbst Familienvater und denke dabei sehr an meine Kinder. Sie sollen auch wieder ihre Freunde treffen können und zu einem normalen Leben zurückfinden.