Wir stellen uns Ihren Arbeitsalltag derzeit sehr stressig vor. Was ist aktuell konkret am schwierigsten für Sie als Notarzt?
Auf jeden Fall die Bettenproblematik. Intensiv- und Überwachungsbetten sind quasi nicht mehr vorhanden, wir müssen uns in ganz Oberbayern auf die Suche danach machen, wenn wir einen Patienten haben, der ein solches Bett benötigt. Wenn wir dann ein Bett bekommen, müssen wir weite Strecken zurücklegen und verlieren wertvolle Zeit.
Können Sie ein Beispiel nennen, bei dem ein Bett schwer zu ergattern war und der Patient es dringend nötig hatte?
Erst am Sonntag hatten wir in Hausham einen Herzinfarkt. Das Krankenhaus in Agatharied wäre 5 Minuten entfernt, konnte ihn aber nicht aufnehmen. Wir mussten ihn ins 40 Minuten entfernte Rosenheim bringen, es ging aber zum Glück alles gut. Als Notarzt hätte ich auch die Möglichkeit einer Zwangsbelegung gehabt, d.h. Agatharied hätte ihn aufnehmen müssen, erstversorgt und stabilisiert. Anschließend wäre er dann weiterverlegt worden. Aber da können wir auch Pech haben, wenn das Bett in Rosenheim dann nicht mehr frei ist und wir noch weiter fahren müssen.
Lange kann das so nicht weitergehen, wie lange denken Sie, dauert es bis zum Kollaps des Systems?
Ich denke wir stehen mit Rücken an der Wand. Die aktuelle Bettensuche ist ein Glücksspiel, auch wenn geplante Operationen verschoben werden. Wenn die Zahl der Neuinfektionen weiter steigt, kollabiert das System in 4 Wochen, also kurz vor Weihnachten.
Was passiert dann, wenn eben keine Intensivbetten mehr frei sind? Was machen Sie mit Patienten, die Corona, einen Schlaganfall oder bspw. Herzinfarkt haben? Wenn eine Umverlegung oder Weitertransport in entfernte Kliniken auch keine Option mehr ist?
Dann bleibt als letzte Option die Triage. Der Patient, der die größten Chancen hat, bekommt das Intensivbett. Der Patient, der weniger Chancen hat, bekommt es nicht. Wir werden keinen Patienten zuhause lassen, aber die Überlegungen sind dann, ob der 80-Jährige mit Schlaganfall im Pflegeheim bleibt oder in der Klinik auf dem Gang liegt. Das Problem auf den Intensivstationen sind nicht die Geräte oder Betten, sondern das Personal ist der Knackpunkt.
Was wären Ihrer Meinung nach jetzt die wichtigsten Maßnahmen und Ihre Forderung an die Politik?
Ich will keine Forderungen an Politik stellen. Meine Bitte an die Bevölkerung ist, sich darauf zu besinnen, was wir letztes Jahr getan haben. Kontakte reduzieren, Maske, Abstand. Das war 2020 vorgegeben, jetzt nicht mehr. Ich appelliere aber daran, dass man sich trotzdem daran hält. Keine großen Partys, kostenlose Schnelltests nutzen, auch für diejenigen die geimpft oder genesen sind. Wer noch nicht geimpft ist, sollte das schnell tun, oder sich boostern lassen. Das sind die Dinge, die wir jetzt brauchen, um das exponentielle Wachstum zu stoppen. Wir können nur an diesen Stellschrauben drehen. Aktuell kann man gerade nichts von der Politik erwarten, jeder muss etwas dafür tun.