Wie schnell sich ein abenteuerlicher Familienausflug in ein Notfallszenario verwandeln kann, zeigt der Einsatz der Höhlenrettungsgruppe der Bergwacht im Chiemgau am 5. August 2016. Fünf Erwachsene und zwei kleine Kinder waren in der Schauhöhle „Lamprechtsofen“ im Pinzgauer Ferienort Weißbach bei Lofer in Österreich von Hochwasser eingeschlossen. Ein achtjähriger Junge wurde von den Wassermassen mitgerissen, jedoch unversehrt aus der Höhle gespült. In einem über zwei Stunden dauernden Einsatz gelang es dem zehnköpfigen Team, die Eingeschlossenen zunächst innerhalb der Höhle zu versorgen und anschließend einzeln durch das Wasser aus der Höhle zu bergen. Drohende Unterkühlung sowie Panikreaktionen bezüglich der eigenen sowie der Situation des weggerissenen Jungen waren hier mit die größten Herausforderungen, die es für die Höhlenrettungsgruppe der Bergwacht zu meistern galt.
Organisiert in 36 Einsatzbereichen mit einer Struktur von 108 Einsatz- und 127 Vorauseinsatzwachen sowie 35 Bereichs- und 80 Gebietseinsatzzentralen, führt die Bergwacht Bayern mit etwa 4.200 ausschließlich ehrenamtlichen Einsatzkräften sowie 17 hauptamtlichen Mitarbeitern in der Verwaltung bayernweit den Rettungsdienst in den alpinen Einsatzbereichen, an unwegsamen Einsatzschwerpunkten und in Höhlen der bayerischen Alpen und Mittelgebirgen durch. Sie ergänzt in besonderen Fällen die weiteren Einheiten des Bayerischen Roten Kreuz auch außerhalb ihrer Einsatzbereiche. Jährlich werden etwa 12.000 Einsätze geleistet, darunter 6.000 Rettungsdienst-Einsätze nach SGB V, 950 Such und Sondereinsätze (Toten-, Tier-, Gleitschirm- oder Drachenbergung) und 5.000 Hilfeleistungen ohne umfangreiche medizinische Verantwortung.
Aber nicht nur die große Anzahl an Einsätzen, sondern auch die vielfältigen und teilweise lang andauernden Einsatzszenarien stellen besondere Herausforderungen dar. Deshalb müssen alle ehrenamtlichen Einsatzkräfte der Bergwacht Kompetenzen in den Bereichen Winter- und Sommerrettung, Notfallmedizin, Luftrettung, psychologische Betreuung und Naturschutz haben. Das Spektrum unterschiedlicher Fähigkeiten wird bereits in der Ausbildung vermittelt.
Die Ausbildung zum Bergretter ist sehr breit gefächert und intensiv, was viel Zeit in Anspruch nimmt.
Daniel Freuding, Geschäftsführer der Bergwacht Bayern
In der zwei- bis dreijährigen Grundausbildung werden bereits alle wichtigen theoretischen und praktischen Kompetenzen für die Rettung im schwierigen Gelände und aus der Luft vermittelt. Erweitert wird das Kompetenzportfolio durch die Anforderungen, die der Nachhaltigkeitsauftrag der Rettungsorganisation an ihre Einsatzkräfte stellt. Denn die Bergwacht Bayern begleitet und bewältigt auch Natur- und Umwelteinsätze, wie die Bekämpfung von Bergwaldbränden, die Rettung von Tieren und die Entfernung von Umweltverschmutzungen. Für weitere Qualifikationen, wie die der Einsatzleitung, sind viel Einsatzerfahrung und vertiefende Trainings grundsätzliche Voraussetzungen.
Ergänzt werden die intensiv geschulten Kompetenzen der Helfer durch die Ausstattung mit effizienten Lösungen. Die Abteilung Lokalisation, Kommunikation, Lagebeschreibung und Dokumentation (LKLD) nutzt hierbei die technischen Innovationen der Digitalisierung, der Drohnentechnologie und weitere Spezialausrüstung - allesamt wertvolle und unverzichtbare Komponenten der Bergwacht-Logistik. Auch durch dieses sich stetig erweiternde Innovationsspektrum kommen fortwährend neue Trainings- und Schulungsinhalte hinzu.
Das Jahr 2016 hat deutlich gemacht, wie unverzichtbar die Kompetenzen der Bergwacht Bayern bei Großunfällen und Katastrophen in Bayern sind. Die Flutkatastrophe im Landkreis Rottal-Inn ist ein Paradebeispiel für das reibungslose Zusammenspiel aller Gemeinschaften des BRK. Hier leistete die Bergwacht mit 44 Mitgliedern als Unterstützer des Landrettungsdienstes und Katastrophenschutzes zusammen mit der Wasserwacht insgesamt 49 Windenrettungen mit bis zu 7 Hubschraubern. Darüber hinaus stellte sie geländegängige Bergrettungsfahrzeuge mit Besatzung zur Verfügung und richtete einen Hubschrauberlandeplatz ein.
Die Rettung aus alpinem und unwegsamen Gelände, die medizinische Versorgung von Verunfallten, die Suche von Vermissten, die Rettung aus Lawinen, Schluchten und Höhlen, die Bergung von tödlich Verunfallten, die Betreuung von Angehörigen sowie die Unterstützung des Katastrophenschutzes: Aktive Einsatzkräfte der Bergwacht müssen sich ständig in Bergrettung fortbilden, um ihr Können zu behalten und um Verletzten die wertvolle Hilfe bringen zu können, die sie benötigen. Die bestmögliche Vorbereitung auf die Vielzahl an unterschiedlichen Einsatzszenarios im Ernstfall gewährleistet immer noch praxisnahes Training.
Das modernste Trainingszentrum für Luft- und Bergrettung
Das nach zweijähriger Umbaupause mit Unterstützung der bayerischen Politik modernisierte und kürzlich wieder eröffnete Bergwacht-Zentrum für Sicherheit und Ausbildung in Bad Tölz stellt den Einsatzkräften eine große Vielzahl an Übungsmöglichkeiten zur Verfügung.
Unsere leistungsfähigen Organisationen, ob Bergwacht, Feuerwehr, freiwillige Hilfsorganisationen oder Technisches Hilfswerk, sind für die innere Sicherheit in unserem Land unverzichtbar.
Joachim Hermann, Staatsminister
Das Zentrum ist bereits seit Jahren eine renommierte Adresse in Bayern und präsentiert sich als weltweit modernste Trainings- und Simulationsanlage für die Luft- und Bergrettung. Das neu installierte Wasserbecken ermöglicht das Training von Rettungseinsätzen im und aus dem Wasser. Mit Errichtung einer Häuserattrappe wurden die Voraussetzungen geschaffen, die Bergung von Personen von Dächern zu trainieren - bei Flutkatastrophen eine Kernaufgabe der Retter. Mit fast 20 Meter hohen Kletterwänden, einem Bergwetterraum, in dem man Einsätze bei bis zu Minus 20 Grad üben kann, einer Krankenhaus-Notaufnahme, einem maßgenauen Nachbau des Inneren einer Windkraftanlage sowie einem Höhlengang für das Üben von Höhlenrettungen wurden zahlreiche weitere Simulationsräume geschaffen.
Besonders stolz macht die Bergwacht Bayern jedoch ein weiterer Zuwachs im neuen Trainingszentrum: der imposante, von der Bergwacht selbst entwickelte zweite Helikopter-Flugsimulator. Ohne Retter und Besatzung in gefährliche Situationen zu bringen, können hier alle kritischen Aktionen in und um die Maschine geübt werden. Ein absolutes Novum: Mit ihm lassen sich aufgrund schwenkbarer Winden, an denen er befestigt ist, drei verschiedene Hubschraubertypen simulieren. So kann nun wie unter realen Bedingungen geübt werden, wie man einen Patienten richtig in den jeweiligen Helikopter bekommt.
Dadurch können wir intensiver und in verschiedenen Mustern schulen.
Roland Ampenberger, Vorsitzender der Stiftung Bergwacht
Wie wichtig das Training mit dem Hubschrauber ist, hat nicht zuletzt der Einsatz in Bad Aibling deutlich gemacht. Dort waren die Waggons der beiden Unglückszüge derart schwer zugänglich, dass zunächst die Passagiere per Helikopter aus den Trümmern gezogen wurden. Insgesamt waren 17 Hubschrauber im Einsatz - mit ihnen Rettungskräfte der Bergwacht Bayern, die auf diese Situation aufgrund ihres Trainings im Zentrum sehr gut vorbereitet waren.
Keine Frage: Mit dem Bergwacht-Zentrum für Sicherheit und Ausbildung steht der Hilfsorganisation eine Vielzahl neuer Trainingsmöglichkeiten zur Verfügung, wie sie bundesweit ihresgleichen sucht. In den Jahren 2008 bis 2013 haben hier mehr als 12.000 Trainingsteilnehmer für den Ernstfall trainiert. Dabei ist die Einrichtung jedoch keineswegs nur den Bergrettern vorbehalten. Auch Polizei, Feuerwehr, Rettungsdienst, Wasserwacht, Technisches Hilfswerk und Bergwachten aus ganz Deutschland trainieren in Bad Tölz unter anderem den Antransport von Helfern und Rettungsmaterialien sowie die Versorgung und Transportvorbereitung des Patienten bis zum Abtransport, gegebenenfalls arztbegleitet unter Beatmung und Monitoring, mittels Rettungswinde.
Der große Vorteil der Halle: Hier können sehr kompakt die Bedingungen, die draußen im Gelände herrschen, simuliert werden. Die Folge: Man trainiert intensiver und verkürzter - und der Ausbilder steht immer daneben. "Vorher hatte jeder seine eigenen Lösungen, seine eigenen Prozesse und Vorgehensweisen", erläutert Stefan Schneider, stellvertretender Vorsitzende der Bergwacht Bayern. "Die meiste Ausbildung findet immer noch bei den Verbänden vor Ort statt. Aber: Zum Standardisieren und zum Ausprobieren neuer Prozesse, dafür ist das Trainingszentrum ideal." Daniel Freuding, Geschäftsführer der Bergwacht Bayern ergänzt: „Innerhalb der letzten Jahre hat es die Bergwacht erreicht, die medizinisch-technische Ausstattung in ganz Bayern flächendeckend zu standardisieren. So konnte die Bergwacht Bayern die Einsatzqualität und Effizienz in Abläufen und Methoden noch einmal steigern. Mittlerweile übernehmen Bergwachten aus anderen Regionen Deutschlands die von der Bergwacht Bayern entwickelten Einsatz-Methoden, nicht nur weil sich diese in der Praxis immer wieder bewährt haben, sondern auch wegen der Zertifizierung nach DIN ISO 9001.“
Verändertes Freizeitverhalten der Bevölkerung und zunehmender Tourismus in den bayerischen Alpen bedeuten für die Bergwacht Bayern eine stärkere Belastung. Auch macht sich der allgemeine Klimawandel bemerkbar, der gerade im bayerischen Alpenraum vermehrt niederschlagsbedingte Schadensereignisse verursacht. Auf diese Veränderungen ist die Bergwacht Bayern vorbereitet. Sie ist sich ihrer Verantwortung bewusst und wird auch in Zukunft alle notwendigen Maßnahmen ergreifen, den Menschen ein hohes Maß an Sicherheit zu gewährleisten.