14.02.19
Ein Unglück kommt selten allein. Doch sind wir überhaupt noch ausreichend darauf vorbereitet? Wie rüsten wir den Katastrophenschutz im Freistaat Bayern für künftige Anforderungen? Eine Bestandsaufnahme bayerischer Hilfsorganisationen.
Eine Katastrophe, was ist das eigentlich?
Fast täglich benutzen wir diesen Begriff und haben uns längst an ihn gewöhnt. Fast so, als wollten wir die wahre Dimension seiner Bedeutung damit ein wenig abschwächen. Eine Katastrophe ist ein folgenschweres Unglücksereignis, verursacht durch Menschen oder die Natur. Im Zivil-, Bevölkerungs- und Katastrophenschutz bezeichnet der Begriff eine größere Gefährdungs- und Gefahrenlage oder ein Schadenereignis. Anders als spektakuläre Einsätze von Feuerwehr und Rettungsdienst ist der Katastrophenschutz ein Bereich der öffentlichen Daseinsfürsorge, der immer nur dann im Rampenlicht der Öffentlichkeit steht, wenn es zu Katastrophen gekommen ist. Dabei sind die Aufgaben sehr umfassend: Der Katastrophenschutz des Roten Kreuzes versorgt Verletzte und transportiert sie in Krankenhäuser. Ebenso kümmert er sich um die Unterbringung von Evakuierten oder obdachlos gewordenen Bürgern und deren Betreuung sowie Versorgung mit den notwendigen Dingen des täglichen Bedarfs.
Die Kernbereiche sind dabei der Sanitätsdiensts- , der Betreuungs- und der Suchdienst. Spätestens seit 9/11 haben sich das Gefährdungsempfinden und die Wertschätzung jener, die Hilfe leisten, grundlegend geändert. Etliche Terroranschläge haben unser Sicherheitsgefühl verändert, wie etwa die Anschläge von Paris, Nizza, Berlin und Manchester. Große Naturkatastrophen wie die Überschwemmungen und Sturzfluten in Simbach am Inn und im Landkreis Passau stellen den Katastrophenschutz immer wieder vor neue Herausforderungen.
Katastrophen- und Bevölkerungsschutz der nichtpolizeilichen Gefahrenabwehr in Bayern
Der Freistaat Bayern ist das Bundesland mit dem höchsten ehrenamtlichen Engagement in Deutschland. Über 450.000 Bürgerinnen und Bürger Bayerns engagieren sich ehrenamtlich bei der Feuerwehr, beim Arbeiter-Samariter-Bund (ASB), beim BRK (mit seinen Bereitschaften der Berg- und Wasserwacht, dem Jugendrotkreuz und der Wohlfahrts- und Sozialarbeit), bei der Deutschen Lebens-Rettungs- Gesellschaft, bei der Johanniter-Unfall-Hilfe, beim Malteser-Hilfsdienst (MHD) und beim Technischen Hilfswerk (THW). Bereits seit Dezember 1995 verfügt Bayern über ein flächendeckendes und auf die damaligen Verhältnisse ausgelegtes Basishilfeleistungsnetz im Sanitäts- und Betreuungsdienst. Seit 2009 gibt es dieses Hilfsnetz auch im Katastrophenschutz der Wasserrettung. Die aktuellen Ereignisse sind in ihrer Häufigkeit und ihrem Ausmaß ein mahnendes Signal, diese Konzepte einer fachlichen, finanziellen und materiellen Anpassung zu unterziehen. Dabei muss man auch klar definieren, mit welchen Schutzzielen wir in Bayern den Schutz der Bevölkerung absichern wollen.
Die in Bayern tätigen freiwilligen Hilfsorganisationen ASB, BRK, DLRG, MHD und JUH, unterstützt durch die Bundesanstalt THW einerseits und den Landesfeuerwehrverband Bayern sowie die Arbeitsgemeinschaft der Berufsfeuerwehren (AGBF) Bayern andererseits, haben daher ein gemeinsames konzeptionelles Vorgehen beschlossen. Im Doppelhaushalt 2019/2020 soll der Katastrophenschutz im Freistaat Bayern auf den aktuellen Stand gebracht und an neue Bedrohungslagen und Entwicklungen angepasst werden. Der Fokus liegt hier auf den folgenden Bereichen: Ausstattung, Führung und Leitung, Sanitäts- und Betreuungsdienst, Versorgung kontaminierter Verletzter und Erkrankter, Mobilität, Wassergefahren und Wasserrettung sowie Betreuung der Hilfskräfte.
Ausstattung: Up to date statt "Vintage"
Die heutigen Versorgungskonzepte für den Sanitäts- und Betreuungsdienst orientieren sich im Wesentlichen an den Risiken, die zum Zeitpunkt der Fußballweltmeisterschaft 2006 bekannt waren. Die 2009 in dem Investitionsprogramm zwischen dem Freistaat Bayern und den Hilfsorganisationen für die Fachbereiche Sanität und Betreuung vereinbarten Beschaffungen konnten aufgrund mangelnder Haushaltsmittel nicht erfüllt werden. Die Auswertung der realen Großeinsätze der letzten Jahre, darunter insbesondere die der Hochwasserlagen in Sachsen und Bayern, hat aufgezeigt, wo Ausstattung zu ergänzen oder neu zu beschaffen ist. Schwer befahrbare Straßen oder Überschwemmungsgebiete erfordern allradbetriebene Katastrophenschutzfahrzeuge verschiedenster Klassen. Vor allem Fahrzeuge für den autarken Betrieb von Einrichtungen des Sanitäts- und Betreuungsdienstes wie auch der Wasserrettung sind aber nicht ausreichend vorhanden.
Führung und Leitung: Hand in Hand
Zusammen stark statt geschwächt durch unterschiedlich organisierte und aneinander vorbeiarbeitende Kräfte: Staatliche Führungsstrukturen und die der Einsatzorganisationen müssen zusammenwachsen, denn dann sind sie effektiver. Derzeit fehlt es an einem standardisierten Informationsfluss, es fehlt an qualifiziertem Personal und an der technischen Infrastruktur, die über alle Ebenen hinweg Führung und Verwaltung verbindet. Es ist derzeit unmöglich, gemeinsam zu einer Lageeinschätzung zu kommen und Informationen ungehindert schnell auszutauschen.
Sanitäts- und Betreuungsdienst
Im Bereich des Sanitäts- und Betreuungsdienstes besteht ein Basisschutz in allen Landkreisen und kreisfreien Städten seit Dezember 1995. Die Verteilung der 30 weiteren bayernweit operierenden Einheiten (in Ballungsräumen, in der Nähe von Störfallbetrieben) ist seit Einführung des Konzepts nicht angepasst worden. So findet zum Beispiel der Flughafen Memmingen oder die neue Schnellfahrstrecke der Deutschen Bahn von München nach Berlin im Stationierungskonzept ebenso wenig Berücksichtigung wie die Tatsache, dass die Bevölkerung seit 1995 in Bayern um etwa eine Millionen Einwohner zugenommen hat.
Um den Sanitäts- und Betreuungsdienst für die Ansprüche der heutigen Zeit fit zu machen, ist einiges nötig: zum Beispiel Sanitätsmaterial und Medikamente, die im Versorgungsgebiet verteilt in ausreichender Menge vorhanden sind. Es muss ausreichende Ausrüstungskonzepte bei der Verpflegung betroffener Bürger und der Einsatzkräfte während besonderer Einsatzlagen wie Hochwasser oder G7 Gipfel geben. Genauso auch ausreichende Ressourcen zur Betreuung einer großen Anzahl hilfebedürftiger Menschen wie beispielsweise Geflüchteter. Darüber hinaus müssen die Bürger für Selbst- und Nachbarschaftshilfe sensibilisiert werden. CBRN(E), Instandhaltung und Resilienz
Die neue Gefahrenlage durch Attentate, aber auch Alltagsgefahren durch Störfallbetriebe und den Transport gefährlicher Güter erhöhen Kontaminierungsrisiken und erfordern flächendeckende Versorgungsmöglichkeiten für kontaminierte Verletzte und Erkrankte. Dazu werden im Doppelhaushalt 2019/2020 zusätzliche CBRN(E)-Mittel (chemisch, biologisch, radioaktiv, explosiv) Gerätewagen, Zubehör und die persönliche Schutzausstattung der Helfer sowie die finanziellen Mittel, diese einsatzbereit zu halten, benötigt. Letzteres ist ein Aspekt, der generell alle Fahrzeuge, Gerätschaften und das medizinische Material betrifft: Die regelmäßige Wartung und Instandhaltung müssen finanziell gewährleistet sein.
Verantwortung darf nicht ausschließlich auf den Schultern der Hilfsorganisationen abgeladen werden, sondern wir müssen die Bürgerinnen und Bürger darin schulen, Mut zur Selbsthilfe zu haben. Das geht nur mit Ausbildungs- und Fortbildungsprogrammen, bei deren Finanzierung ebenfalls staatliches ein Engagement erforderlich ist.
Die Neuordnung des Katastrophenschutzes in Bayern ist eine langfristige, aber lohnenswerte Aufgabe, die erhebliche finanzielle Mittel und ein hohes ehrenamtliches Engagement erfordert. Diese Herausforderung lässt sich nur mit einem engen Schulterschluss der bayerischen Politik mit dem BRK sowie der Gemeinschaft der Hilfsorganisationen bewältigen.