„Not macht erfinderisch“ – so heißt eine bekannte deutsche Redewendung und so ungern man sich auch selbst in einer misslichen Lage befindet, so wahr sind diese drei Worte. Das zeigen private, berufliche sowie historische Ereignisse immer wieder. Und auch Naturkatastrophen wie das Hochwasser 2013 in Deggendorf und Passau oder die bayernweit eingeschneiten und von der Außenwelt abgeschnittenen Dörfer im Januar 2019 fordern immer wieder Kreativität und Zusammenhalt, um zeitnah erste Hilfe leisten und Zeit gewinnen zu können – immer ganz vorne mit dabei: das BRK.
Doch im Gegensatz zu solchen Ereignissen ist das BRK diesmal nicht Helfer, sondern selbst direkt betroffen. Denn der Pflegenotstand hat schon heute Ausmaße erreicht, die immer häufiger zu Problemen führen und Rot-Kreuz-Einrichtungen in ganz Bayern vor große Herausforderungen stellen: im Alltag, wenn es um die Sicherstellung der Schichtpläne geht, mittel- bis langfristig, wenn Stellen nachbesetzt werden sollen und Ausbildungsplätze frei bleiben.
Während externe Maßnahmen wie die gesetzliche Anpassung zur einfacheren Anwerbung ausländischer Pflegefachkräfte nur bedingt in der Hand des BRK liegen und lediglich eindringlich von der Politik eingefordert werden können, gibt es andere Initiativen, die zeitnah eigenverantwortlich angestoßen werden können und müssen: die Optimierung interner Prozesse, die enge Verzahnung der einzelnen Gemeinschaften, der Abbau des internen Konkurrenzdenkens und die Hebung ungenutzter Potenziale.
Und auch hier, wie in jeder anderen kritischen Situation, bedarf es vor allem Kreativität und Zusammenhalt. Zwei Tugenden, die das BRK so oft unter Beweis stellt, wenn es um unsere Mitmenschen geht, aber noch zu selten, wenn es den eigenen Verband betrifft. Das Projekt „BRK der Zukunft“ soll und möchte hier die richtigen und notwendigen Impulse geben.
Federführend sind hier die Arbeitsgruppe Pflege & Soziales sowie die Arbeitsgruppe Fachkräfte. Eine der Kernbotschaften des über die letzten zwölf Monate entstandenen Strategiepapiers ist dabei vor allem die hohe Bedeutung der Mitarbeitenden und die damit verbundene Wertschätzung. Denn nur zufriedene Arbeitnehmende sind potenzielle Markenbotschafter und können dem jeweiligen Beruf wieder ein positives Image verleihen.
Und dies bedarf, wie es auch die sieben Regionalkonferenzen im Spätherbst 2018 und Anfang 2019 gezeigt haben, nicht immer gleich monetärer Maßnahmen. Denn oft bereiten der Belegschaft Sachverhalte Sorgen, die auch ein höheres Gehalt nicht lösen kann: Schichtbetrieb, der mit den Schul- oder Kindergartenzeiten der eigenen Kinder nicht vereinbar ist, komplizierte und zeitaufwendige organisatorische Arbeitsschritte oder auch teaminterne Konflikte, die aufgrund der Überlastung der Führungskraft nicht angegangen werden können. Doch mögliche verbandsinterne Ansatzpunkte um einen uneingeschränkten Fokus auf die eigentliche Arbeit wieder zu erlauben, gibt es dabei genug. Denn nicht selten ist das BRK im gleichen Ort nicht nur Betreiber von Pflege- sondern auch gleichzeitig von Kinderbetreuungseinrichtungen, was eine Ausweitung der Betreuung vor allem zu Randzeiten vereinfacht. Dies kommt zudem nicht nur bei der eigenen Belegschaft, sondern auch am Markt gut an. Sollte solch eine Maßnahme einem einzelnen Kreisverband aus eigenen Mitteln nicht möglich sein, kann überlegt werden, wie man eventuell zusammen mit benachbarten Kreisverbänden oder gegebenenfalls auch anderen Sozialanbietern neue Kinderbetreuungskonzepte entwickeln kann. Möglich wären gemeinsame Investitionen in eine Einrichtung mit Randzeitenbetreuung und Shuttle-Busse zu und von den umliegenden Häusern.
Parallel dazu arbeitet die Arbeitsgruppe Fachkräftemangel intensiv daran, den Schritt weg von der Personalverwaltung hin zum innovativen Personalmanagement zu machen. Hierbei hat die Heterogenität des Verbandes über die Jahre viele gute Ideen wie Familien- und Gesundheitsmanagementkonzepte hervorgebracht, die man sich nun bayernweit zunutze machen kann. Selbiges gilt natürlich auch für die Führungskräfteentwicklung bei der ebenfalls Zusammenhalt gefordert ist.
Wir brauchen einen Abbau der Überregulierung und eine Aufwertung des Pflegeberufs.
Brigitte Meyer, BRK-Vizepräsidentin
Des Weiteren kann die aktive Nutzung von Digitalisierung dabei helfen, zwei Fliegen mit einer Klappe zu schlagen: Zum einen sind Daten schneller sowie jederzeit zur Hand und müssen oft nur noch einmal eingetragen werden. Andererseits verlangt Digitalisierung auch immer eine Prozessbetrachtung von Anfang bis Ende, um Standardisierung zu ermöglichen. Sogenannte Journeys oder End-to-End-Darstellungen offenbaren dabei überflüssige Prozessschleifen und Einsparpotenziale. Beides bedeutet folglich wiederum mehr Zeit für den Patienten.
Zu guter Letzt birgt auch das Ehrenamt große Potenziale, um zumindest Spitzen des Pflegenotstands abzufedern. Denn wie die gleichnamige Arbeitsgruppe betont, verfügt das Rote Kreuz über ein unglaubliches Netzwerk in Bayern, um das einen viele andere Träger beneiden. Attraktive und innovative Angebote können daher helfen, die Pflege auch ehrenamtlich noch stärker zu unterstützen. Hierbei geht es gar nicht um Pflegetätigkeit selbst, sondern um die Entlastung der Fachkräfte bei Alltagssituationen wie dem Mittagessen, der Organisation von Gesellschaftsabenden, kulturellen Angeboten oder täglichen Spaziergängen. Auch wenn viele der in diesem Artikel genannten Maßnahmen im ersten Moment vielleicht nur kleine Erfolge bringen, schaffen sie im Gesamtbild viele Freiräume für die Pflegekräfte selbst und erleichtern deren Arbeit. Zudem lässt sich mit ihnen Zeit gewinnen. Zeit, die dringend benötigt wird, um den Pflegenotstand politisch und nachhaltig anzugehen sowie qualitativ hochwertige Standards in der Pflege langfristig sicherstellen zu können.