04.04.19
BRK-Azubis brauchen einen langen Atem. Im wörtlichen Sinne, denn Bewerber für den Beruf des Notfallsanitäters müssen beim Eignungstest Treppen steigen - in voller Montur, mit schwerem Hilfsgerät, immer und immer wieder. Wem hier nicht die Puste ausgeht, der ist bereit für eine Karriere, von der nicht nur er selbst, sondern vor allem Menschen in Not profitieren.
Wer sich für einen helfenden Beruf entscheidet, vertritt eine Überzeugung: Er will, dass anderen Menschen in unserer Gesellschaft geholfen wird und sich dabei aktiv einbringen. Das BRK bietet hier mit seiner Ausbildungsstruktur eine breite Angebotspalette. Seit 2014 zählt auch das neue Berufsbild des Notfallsanitäters zu dem Ausbildungsangebot und löst den Rettungsassistent ab. Insgesamt wird in rund 20 Ausbildungsberufen ausgebildet. Neben der Helfergrundausbildung mit den Bestandteilen Rotkreuz Einführungsseminar, Grundlehrgang Betreuungsdienst, Sprechfunkausbildung und des Grund- und Fachlehrgangs Sanitätsdienst vervollständigen Fachdienstausbildungen wie der Grundlehrgang Technik & Sicherheit, der Fachlehrgang Rettungsdienst, der Lehrgang Methodik und Didaktik sowie zahlreiche weiterführende Aus- und Fortbildungen (wie bsp. der Lehrgang "Grundlagen der psychosozialen Notfallversorgung") das Aus- und Weiterbildungsportfolio des BRK. Bei all dieser Vielfalt aus Berufen und Tätigkeiten im Haupt- und Ehrenamtlichem Engagement bleibt der gemeinsame Nenner dennoch einfach: „Menschen in Not zu helfen“ formuliert es Edith Dürr, Generaloberin der Schwesternschaften des BRK, ist das zentrale Bindeglied zwischen jeder Handlung im Bayerischen Roten Kreuz.
Nico befindet sich im zweiten Ausbildungsjahr zu einem völlig neuen Berufsbild des Rettungsdienstes, dem Notfallsanitäter. Schon seit seinem 12. Lebensjahr ist der heute 26-Jährige bei der Freiwilligen Feuerwehr aktiv. Eine Lehre zum Speditionskaufmann hat er zwar abgeschlossen, doch bald erkannt, dass er für einen 9-to-5-Bürojob nicht gemacht ist, dass sein Herz für etwas anderes schlägt: Menschen zu helfen. "Gutes tun, das ist für mich lebenserfüllend", zeigt sich Biebel entschlossen. "Auch die Abwechslung ist wichtig: Beim BRK ist jeder Tag anders, kein Einsatz gleicht dem anderen." 4960 Stunden Ausbildung gilt es für Biebel zu absolvieren, dann ist er nach drei Jahren Ausbildungsdauer bereit für das Staatsexamen. Danach wird er als Notfallsanitäter die höchste nichtärztliche Qualifikation des Rettungsdienstpersonals erworben haben. Im Rahmen der Notfallrettung ist der Notfallsanitäter maßgeblich verantwortlich für die präklinische Versorgung einer verletzten oder erkrankten Person. Zu seinem Kompetenzportfolio gehören u.a. das Feststellen und Erfassen der Lage am Einsatzort und die unverzügliche Einleitung notwendiger allgemeiner Maßnahmen zur Gefahrenabwehr. Eine zentrale Rolle spielt die Beurteilung des Gesundheitszustandes von erkrankten und verletzten Personen sowie das Durchführen medizinischer Maßnahmen der Erstversorgung bei Patienten im Notfalleinsatz. Dabei wendet der Notfallsanitäter in der Ausbildung erlernte, auch invasive Maßnahmen an, um einer Verschlechterung der Situation der Patienten bis zum Eintreffen des Notarztes oder dem Beginn einer weiteren ärztlichen Versorgung vorzubeugen, (wenn ein lebensgefährlicher Zustand vorliegt oder wesentliche Folgeschäden zu erwarten sind). Die notwendige Handlungsverantwortung wird ihm durch das Notfallsanitätergesetz übertragen - ein Signal und sichtbare Aufwertung des Berufsbildes.
"Der Notfallsanitäter soll zukünftig sehr viel mehr Kompetenzen haben als der Rettungsassistent heute", so Gabriele Keymling, Leiterin Stabsstelle Bildung & Personalentwicklung. "Er darf alles, was er kann, wenn die sogenannte Notfallkompetenz gilt, d. h., wenn dem Patienten nicht zuzumuten ist, dass man auf das Eintreffen des Arztes wartet." Mit der Erstellung eines eigenen Berufsbildes für Notfallsanitäter durch den Gesetzgeber wurde der Weg frei für eine Anpassung der Ausbildung an die hohen medizinischen Anforderungen des modernen Rettungsdienstes. Indem der Notfallsanitäter eine Reihe von erlernten Aufgaben übernimmt, die bis dato ausschließlich dem Notarzt vorbehalten waren, wird er als ausgesprochener Spezialist die gesamte Bandbreite der Notfallmedizin abdecken. So können künftig bereits am Unfallort Maßnahmen durchgeführt werden, die früher nur im Krankenhaus möglich waren.
Diese Qualifikationen erwerben die Azubis in einer Ausbildung, deren duales Konzept die enge Verknüpfung von der Vermittlung theoretischer Grundlagen an der Berufsfachschule mit Klinik- und Rettungswachenpraktika vorsieht. "Mein Vorteil gegenüber der alten Ausbildung zum Rettungsassistenten, bei der die Absolventen erst nach 12 Monaten Schule ihr praktisches Anerkennungsjahr absolvieren konnten, ist der, dass ich mein im Blockunterricht erworbenes theoretisches Wissen gleich in der Praxis anwenden kann."
Die Begeisterung, die Nico Biebel dem neuen Ausbildungsmodus entgegenbringt, ist kaum zu überhören. Tatsächlich sind es Menschen wie er, die im täglichen Einsatz weit mehr leisten als das Mindestmaß. "Man spürt förmlich die Passion und die Power, mit der die Azubis bei der Sache sind", lobt Michael Dauelsberg seine Schützlinge. "Die geben 100 Prozent, wollen lieber mehr Einsätze fahren als zu wenig." Dauelsberg ist Ausbilder an der Rettungswache Ebersberg. Er begleitet Azubi Nico durch seine dreijährige Ausbildung - und zwar von Stunde 0 an bis zum letzten Tag. Das ist wichtig, denn Dauelsberg ist mehr als nur Wissensvermittler, er ist auch Ansprechpartner für die Themen, die unter die Haut gehen. Insbesondere bei Helferberufen ein wichtiger Aspekt. "Auf jeder Rettungswache gibt es sogenannte Lerninseln", so Dauelsberg. "Das sind Ruheräume und Rückzugsorte, die medialen Zugang zu Lernmaterialien bieten, an denen man aber auch einen Einsatz nachbesprechen und verarbeiten kann. Abschalten, Mensch sein dürfen, runterfluten: auch das gehört zum Alltag eines Notfallsanitäters. Meine Aufgabe ist es, den Azubis in fordernden Situationen psychische Stabilität zu geben."
Die eigene Psychohygiene spielt eine große Rolle. Das ist heute auch in dem Berufsfeld des Rettungsdienstes kein Tabu mehr. "Die Schüler werden sowohl von Praxisanleitern, Vorgesetzten und Kollegen, wie auch von der BFS begleitet", so Gabriele Keymling. "Sie lernen Möglichkeiten der eigenen Psychohygiene kennen und lernen früh, wie wichtig es ist, ihre Gefühle und ihr psychisches Belastungsempfinden ernst zu nehmen, Erlebnisse gezielt zu verarbeiten und sich Hilfe zu holen, wenn sie merken, dass Erlebnisse dauerhaft belastend sind." Azubi Nico kann nur bestätigen, wie wichtig das ist. "Durch meine langjährige Tätigkeit bei der Feuerlöschung habe ich schon vieles gesehen. Dennoch gibt es immer wieder Einsätze, die an die Substanz gehen. Insbesondere wenn man vor Ort mit einer heftigeren Situation konfrontiert wird, als es durch das Meldebild beschrieben wurde. Wenn ich diese Eindrücke in einen Raum sperre und den Schlüssel wegschmeiße, hilft mir Michael dabei, die Tür wieder einzurammen und das Erlebte zu verarbeiten."
Allein gelassen mit dem Erlebten wird Nico nicht, neben seinem Ausbilder begleitet ihn auch eine intensive Vorbereitung an der Schule. Derzeit bildet das BRK an insgesamt 18 Berufsfachschulen in Bayern aus, davon finden sich an den Standorten Bayreuth, Burghausen, Nürnberg, Schwabmünchen und Würzburg fünf neue Berufsfachschulen für Notfallsanitäter. Weiterhin gibt es acht Berufsfachschulen für Altenpflege und Altenpflegehilfe, eine Berufsfachschule für Physiotherapie, drei Berufsfachschulen für Krankenpflege und eine Berufsfachschule für Kinderkrankenpflege. Die optimale Vorbereitung seiner Auszubildenden auf spätere Herausforderungen im aktiven Berufsleben liegt dem BRK am Herzen. So steht den Schülern der Notfallsanitäterschule und anderen Rettungs- und Hilfskräften seit dem 28. September 2016 der RETTcampus der Berufsfachschule für Notfallsanitäter des BRK Kreisverbandes Bayreuth zur Verfügung. Ein fast 600 Quadratmeter großes Trainingsareal, in dem praktisch alle notfallmedizinisch relevanten Notfallszenarien in einer möglichst realitätsnahen Einsatzumgebung nachgestellt werden können.
Neben den eigenen Berufsfachschulen kooperiert das BRK auch mit anderen Bildungseinrichtungen. Die Technische Hochschule Deggendorf und das Bayerische Rote Kreuz haben den Studiengang Pädagogik im Rettungswesen (B.A.) mit dem Ziel entwickelt, durch die akademische Ausbildung von Lehr-, Fach- und Führungskräften einen weiteren Schritt in der Professionalisierung des Rettungsdienstes voranzugehen und Bayern als Kompetenzregion für das Rettungswesen zu stärken. Studierende erwerben im Studium Kompetenzen, um krisen-, rettungs- und notfallbezogene Herausforderungen in Form von Lehr- und Lernprozessen pädagogisch zu verantworten. Eine Kooperation zwischen Wissenschaft und Praxis ist laut Uni-Vizepräsident Prof. Dr. Horst Kunhardt dringend notwendig.
Um auf die sich stetig verändernden Herausforderungen durch Terrorgefahr und Naturkatastrophen adäquat reagieren zu können. denkt das BRK auch noch in eine andere Richtung. Unter der Leitung des BRK wird in Kooperation mit verschiedenen Hilfsorganisationen und der bayerischen Staatstregierung derzeit ein Konzept für ein „Ausbildungszentrum zur Katastrophen- und Terrorabwehr“ erarbeitet, das in der nördlichen Oberpfalz, bei Windischeschenbach, entstehen soll.
In Zeiten von Fachkräftemangel konkurrenzfähig und attraktiv für potenzielle Auszubildende zu bleiben, das ist der Auftrag, den das BRK sich zur Aufgabe gemacht hat. "Unsere größte Herausforderung ist es, die Qualität, die wir erreicht haben, kontinuierlich weiterzuerhalten", so Gabriele Keymling. "Wir müssen uns darüber im Klaren sein, dass bei einer abnehmenden Zahl an Schulabsolventen die Wirtschaft mit ungleich mehr Finanzkraft alles dafür tun wird, qualifizierte Fachkräfte abzuschöpfen. Der Wettbewerb um die Besten wird eine neue Qualität erhalten. Für das BRK ergibt sich eine doppelte Herausforderung: Einerseits ist es als Sozialkonzern ohne Ehrenamtliche nicht denkbar, muss es aber auch schaffen, die Menschen mittels Sinnstiftung und Realitätsnähe dort abzuholen, wo sie in ihrer Lebenswirklichkeit stehen. Es gilt, einer nachwachsenden Generation eine Perspektive zu vermitteln und ihr bewusst zu machen, dass der Wohlstand, in dem sie aufwächst, nicht Gott gegeben ist, sondern nur durch das Engagement eines jeden Einzelnen erhalten werden kann.“ Auch für Leonhard Stärk, Landesgeschäftsführer des Bayerischen Roten Kreuz, ist die Ausbildung Chefsache. „Es geht darum Barrieren für die sozialen und helfenden Berufsbilder abzubauen und gemeinsam mit Politik und Gesellschaft den hohen Stellenwert der Menschen, die diese Berufe ausüben, sowie die Berufe selbst stärker in den Vordergrund zu rücken.“ Azubi Nico Biebel hat dies erkannt. "Mir ist es einfach wichtig, Menschen zu helfen. Auch wenn ich damit ein bisschen weniger Geld verdiene als mit einem Bürojob."