30.03.19
Wie sehr vertragen sich Technologie und humanitäre Arbeit? Welche neuen Arbeitsmodelle sind mit den Rot-Kreuz-Tätigkeiten vereinbar? Wo gilt es Trends zu setzen und wo reicht es ihnen zu folgen? Diese und andere Fragen sind grundsätzlich schon nicht leicht zu beantworten. Doch zusätzlich zu beispielsweise ethischen Aspekten sind im Bayerischen Roten Kreuz vor allem auch die Heterogenität des Verbandes und die damit verbundene Meinungsvielfalt von großer Bedeutung. Das Projekt ‚BRK der Zukunft‘ nimmt hier eine wegweisende und impulsgebende Rolle ein.
Wenn man stolz auf etwas ist, möchte man dies natürlich auch zeigen. Und so war es nicht verwunderlich, dass die Teilnehmer der Regionalkonferenz in Bayreuth, einer von sechs Informationsveranstaltungen zum Strategieprojekt ‚BRK der Zukunft‘ im Spätherbst dieses Jahres, den ganzen Tag durch von einem im ersten Augenblick etwas befremdlich wirkenden Tablet auf zwei Rädern begleitet wurden.
Denn der kleine Helfer durfte an diesem Tag beweisen, dass er keineswegs nur eine nette Spielerei ist, sondern zukünftig entscheidend dazu beitragen kann, Menschen trotz großer Entfernungen und hektischen Alltags um vieles näher zu bringen. Überzeugen konnte er an diesem Tag vor allem durch seine unkomplizierte Handhabung, die bald Patienten jeglichen Alters und ohne großes Vorwissen sowie ohne persönliches Endgerät erlaubt, schnell und einfach einen Videoanruf mit Familie, Freunden und Bekannten zu starten.
Aktuell wird der Hybrid aus Segway, Tablet, Kameras und Sensoren bereits in einigen Rot-Kreuz-Einrichtungen im Kreisverband Bayreuth getestet und könnte im Falle eines erfolgreichen Pilotprojektes zukünftig auch bayernweit in Krankenhäusern, Seniorenresidenzen und Pflegezentren zum Einsatz kommen. Doch auch wenn sich die Technologie beispielsweise in den Vereinigten Staaten sowohl bei Bewohnern als auch deren Familien bereits großer Beliebtheit erfreut, sind vor einer flächendeckenden Einführung beim BRK aktuell nicht nur rechtliche Themen wie der Datenschutz zu klären. Vielmehr steht auch die Frage im Raum, ob man als Verband geschlossen hinter der Idee steht und diese auch gemeinsam vorantreiben will.
Und damit ist das Bayreuther Projekt nicht allein. Bayernweit werden derzeit Innovationen innerhalb des Rotes Kreuzes voran-getrieben, Forschungsprojekte mit Universitäten und Hochschulen gestartet und Kooperationen mit lokalen Partnern eingegangen. Dabei muss es sich keinesfalls immer nur um den Einsatz von neuen Technologien handeln, denn auch alternative Formen der Zusammenarbeit, attraktive Angebote in Sachen Familien-Management oder neuste Ansätze zu Integration und Migration sind ausschlaggebend für eine erfolgreiche Zukunft.
Der große lokale und regionale Innovationsdrang birgt jedoch auch die Gefahr, das große Ganze aus den Augen zu verlieren, und das Risiko Themen parallel im Kleinen anzugehen, statt gemeinsam viel wirkungsvoller zu investieren und zu agieren. Um dieser Ausgangslage gerecht zu werden, wird im Rahmen des Strategieprojekts eine mehrschichtige und in sich griffige Herangehensweise gefahren: die Etablierung einer Stabstelle Digitalisierung, die Besprechung und Einbindung vielversprechender Ansätze im Rahmen der Strategiepapiere, sowie der aktive Anstoß zum innerverbandlichen, gemeinschaftsübergreifenden Austausch.
Mit den sechs im Oktober und November 2018 stattgefundenen Regionalkonferenzen, wurde vor allem das letzte der drei Elemente intensiv angegangen. Knapp 500 Interessenten aus allen Ebenen und Gemeinschaften des Bayerischen Roten Kreuzes nutzten dabei die Gelegenheit, einerseits mehr über den aktuellen Projektstand zu erfahren, aber vor allem auch zu sehen, was links und rechts der eigenen Rot-Kreuz-Einheit passiert, welche Themen große Beachtung finden und in welche investiert wird.
Die Offenheit und die Vielfalt der Diskussionen boten dem Projektteam dabei auch diverse Einblicke in die aktuelle Stimmung innerhalb einzelner Gruppen und Regionen. Auch im Hinblick auf wichtige Themengebiete wie die Vereinbarkeit von Technologie und Ethik, die Arbeitsgestaltung im Roten Kreuz und das Selbstbewusstsein Innovationstreiber zu sein, gab es neue wichtige Erkenntnisse, die es nun gilt, in die Strategiepapiere einzuplanen.
Innerhalb des Ehrenamtes soll Digitalisierung vor allem entlasten und Routinetätigkeiten wie Auswertungen und Statistiken vereinfachen. Herausforderung ist dabei aus all den vielen Erwartungen und Ideen die tatsächlichen Bedarfe zu erkennen, um allen Helfenden unter die Arme greifen und gezielt investieren zu können. E-Learning-Angebote und eine Freiwilligen-App sind zudem geplant, um die Attraktivität des Ehrenamts nachhaltig zu steigern.
Die Arbeitsgruppe ‚Einsatzdienste‘ wird sich in Sachen Digitalisierung vor allem auf die Optimierung der Einsatzsteuerung in Großschadenslagen fokussieren. Hier können neuste Technologien und smarte Anwendungen zukünftig helfen noch schneller reagieren und somit die Sicherheit unserer Mitmenschen entscheidend verbessern zu können. Auch die Einbindung von Spontanhelfern und Dritten ist in einem EDV-basierten Einsatzleitsystem um vieles einfacher und schneller darstellbar.
Im Bereich Pflege & Soziales ist der angesprochene ethische Aspekt am präsentesten und findet innerhalb der Arbeitsgruppe entsprechend auch große Beachtung. Denn im Vordergrund steht die Unantastbarkeit jedes Einzelnen, und nur, wenn Innovationen dies garantieren können, sind sie für das BRK relevant. Möglichkeiten werden vor allem in der Kommunikation zwischen Anspruchsgruppen und Angehörigen (digitale Barrierefreiheit), sowie den vielen Servicediensten wie beispielsweise dem Hausnotruf gesehen.
Wie im Ehren- als auch im Hauptamt sollen Digitalisierung und Technologie zunächst einmal Prozesse vereinfachen und die Mitarbeitenden entlasten. Die Arbeitsgruppe ‚Fachkräftemangel‘ hat daher zu allererst notwendige Grundlagenarbeit in den Bereichen Personalakte und administrative Abläufe erkannt. Trends möchte man hingegen rund um die Personalgewinnung setzen und mit innovativen Kommunikationskonzepten sowie digitalen Talent- und Bewerberpools neue Maßstäbe setzen.
Um die Arbeitsgruppen mit diesen Mammutaufgaben nicht alleine zu lassen, wurde zum 01. November 2018 die Stabstelle Digitalisierung geschaffen, die dabei helfen soll, einen verbandsweiten Überblick über neue Impulse und Projekte zu erhalten, Interessenten zu verbinden und digitale Rahmenbedingungen für das Projekt zu erarbeiten. Hierbei gilt es nicht nur die Strömungen innerhalb des BRK, sondern auch der gesamten Rot-Kreuz-Familie aktiv zu verfolgen, weshalb derzeit unter anderem Projekte des Deutschen, Finnischen und Amerikanischen Rot-Kreuzes genauer betrachtet werden.
Doch allzu viel Zeit bleibt nicht, denn der Projektplan für 2019 ist straff bemessen: Bereits im Juli sollen die Maßnahmenpakete im Rahmen der Landesversammlung verabschiedet werden. Hierfür gilt es zunächst die strategischen Vorhaben samt all ihrer Feinheiten zu finalisieren und das obligatorische ‚OK‘ des Landesvorstands zu erhalten. Parallel müssen auch vorbereitende Maßnahmen mit den Kreisgeschäftsführern eingeleitet und ein sogenannter ‚Zukunftsfonds‘ verabschiedet werden. Letzterer soll dann in den kommenden Jahren als finanzielle Grundlage für verbandsweite Investitionen in innovative Ansätze dienen und somit langfristig die Hebung von Synergien und Optimierungen sicherstellen.
Zwei Punkte sind dabei von entscheidender Bedeutung: Erstens, ist und wird die Vielfalt innerhalb des Verbandes auch in den kommenden Jahren entscheidender Ausgangspunkt bedeutender und innovativer Ideen sein. Zweitens, können wird als Rotes Kreuz die Zukunft nur dann erfolgreich gestalten, wenn wir gesellschaftliche Verantwortung übernehmen und „Unsere Mission + Menschen helfen“ nie aus den Augen verlieren.